EatThisWorld

View Original

Zu Besuch bei den Hakka - ein Abstecher in die Berge Fujians

Das 1308 erbaute Yuchanglou Tuluo von innen - insgesamt sind es 270 Zimmer. Jede Familie hat ihre eigene Quelle in einer der 25 Küchen.

Die weltbekannte Terracotta Armee; Giant Pandas von Chengdu; die Yellow Mountains bei Shanghai; der Li River mit seinen unwirklichen Bergformationen - Chinas Liste der Sehenswürdigkeiten ist eine Ansammlung touristischer Superlative und es fällt schwer sich für eine passende Route zu entscheiden. Wie entscheiden wir uns denn normalerweise in dem verwachsenen Dickicht aus Blogbeiträgen, Trip-Advisor Reviews und Reisemagazin-Artikeln für ein Reiseziel / Sightseeing Highlight? Unser Trick für entspanntes und trotzdem spannendes Reisen (Hä?): Nicht zu viel im Voraus planen!

Es gibt viele Verschiedene Reisetypen und grundsätzlich gibt es hier kein richtig oder falsch, alles Typ-Sache! Aber wir fühlen uns sehr viel wohler, wenn die Tages und Wochenplanung nicht in Stein gemeißelt auf einer To-Do Liste steht. Vor allem bei unserer Art zu reisen! Wer nur ein paar Tage Zeit hat für ein Städtetrip z.Bsp. nach Prag, der will seine Zeit natürlich effektiv nutzen und überlegt sich vorher ganz genau, welche Aktivitäten Sinn machen. Bei einer Welt- / Langzeitreise sollte man aber überlegen, ob die straffe Taktung und das Wochenlange vorausplanen die beste Vorgehensweise ist, denn die Regel Nummer 1 lautet hier: Unverhofft kommt oft!

Ständig ändern sich Gegebenheiten, etwas klappt nicht so wie man es sich gedacht hat, oder es eröffnen sich spontan neue Möglichkeiten. Die Flexibilität, die man sich mit nur losen Rahmenbedingungen schafft, ist befreiend und gleichzeitig spannend. Dieses selbst induzierte Abenteuer lässt einen zwangsläufig viel Neues erfahren, man ist nicht so sehr enttäuscht, wenn etwas mal nicht so klappt wie man sich das vorher ausgemalt hat und es konditioniert einen ganz nebenbei, diesem falschen Sicherheitsgefühl welches man sonst ständig im Hinterkopf hat (Sicher ist, wenn wir mal ehrlich sind nichts - weder der Job, die Lebensversicherung, noch nicht mal das liebe Geld auf dem Sparkonto) nicht zu sehr auf den Leim zu gehen.

Wir reisen eigentlich immer ohne Reiseführer und wenn wir in einem neuen Gebiet ankommen am liebsten einfach drauf los und lassen die Dinge auf uns zu kommen. So bekommt man einen authentischeren Eindruck vom Local Life und vermeidet öfter die großen Touristenströme. In China kann diese Taktik aber streckenweise etwas überwältigend sein, besonders wenn man sich entscheiden muss, wo die nächste Zugfahrt hingehen soll. Soviel sollte man dann schon bereit sein, vorzudenken. ;) Irgendwo in den Tiefen des Internets haben wir dann etwas Interessantes entdeckt: riesige, aus Lehm und Holz gefertigte Rundhäuser in der Bergregion Fujian. Die ältesten stammen aus dem 12. Jahrhundert! Spontan buchen wir uns ein Zimmer in einem der traditionellen Erdhäuser und machen uns auf den Weg ins chinesische Hinterland.

Eine Teilstrecke können wir direkt von Xiamen aus mit dem Zug bestreiten. Als wir nach ein paar Stunden Fahrt durch die versmogte Periphärie der Mega Cities am Bahnhof von Nanjing ankommen, wissen wir sofort, dass wir richtig sind. Die Ankunftshalle ist der Form eines Toulou (so heißen die ringförmigen Erdhäuser des Stammes der Hakka) nachempfunden und ragt prominent aus den umliegenden Bananenplantagen hervor. Und außer Bananen gibt es hier auch nichts. Also wirklich rein gar nichts! Der Bahnhof liegt einige Kilometer außerhalb des Städtchens Nanjing und außer dem beeindruckenden Bahnhofsgebäude ist bis zur zur nächsten Bergkette nur endlose Plantagenlandschaft zu erkennen. Als wir uns auf den Weg Richtung Straße machen um die Lage zu sondieren, werden wir sofort von von mehreren Personen umringt. Ältere Damen halten uns Bündelweise Bananen unter die Nase und reden aufgeregt auf chinesisch auf uns ein. Wir verstehen natürlich kein Wort, aber wissen schon was gemeint ist: „Schau mal wie groß die sind!“, „Meine sind viel süßer, probier mal!“ „Hier, 10 Kilo ganz billig!“ Am Besten staudenweise sollen wir sie ihnen abkaufen, das wir bei 2 voll bepackten 70 Liter Rucksäcken, 2 Day Packs vor der Brust und einer Tasche Proviant keine Kapazitäten mehr für eine Monatsration Bananen haben scheinen sie nicht gelten zu lassen. Man könnte die Früchte ja auch auf den Rucksack binden! Wir quetschen uns an den Damen vorbei und nachdem wir diese abgeschüttelt haben, versuchen nun die hiesigen Taxifahrer ihr Glück bei den einzigen Ausländern weit uns breit - jop, das sind wir.

Wir kommen aber mit Insiderwissen: Unser Host hat uns erklärt, dass wir zunächst mit dem Bus vom Bahnhof bis zum Rande der „Fujian-Tulou Scenic Zone“ fahren sollen. Hier beginnt das Gebiet der im Jahr 2008 zum UNESCO Weltkulturerbe ernannten Erdbauten der Hakka. Eintritt ist für Besucher nur mit einer Zulassung möglich. Von hier gehen auch die Kostenfreien Touristenbusse von Dorf zu Dorf und den öffentlich zugänglichen Toulous und somit auch nach Taxia, dem kleinen Dorf am Ende der Scenic Zone in dem auch unser Toulou wartet.

Der Weg dorthin wir uns aber nicht sehr leicht gemacht. Es ist einer der letzten Tage im Februar und die Sonne knallt auf die schattenfreie Parkplatzfläche vor dem Bahnhof in Nanjing. Immer wieder kommen Taxifahrer angeschlendert und geben uns via Übersetzungsapp selbstsicher zu verstehen, dass es hier keinen Bus gibt. Von „hier kein Bus“ bis „Bus schon weg“ ist alles dabei. Wir trauen dem Braten aber nicht so ganz, da unser Airbnb Host in Xiamen sicher war, dass der öffentliche Nahverkehr hier die beste und günstigste Art der Fortbewegung ist. Wir bleiben also beharrlich. Ein Herr ist besonders überzeugend und zeigt uns auf seinem Handy den Busbahnhof im 6 Kilometer entfernten Stadtkern von Nanjing. Mist, wurde der Busbahnhof etwas verlegt? Die Bananenfrau versucht ihr Glück erneut bei uns, stellt sich einfach demonstrativ vor uns und hält uns ihre Ware gelangweilt vor die Nase. Der Taxifahrer hat uns mittlerweile so weit bearbeitet, dass wir schon fast soweit sind zustimmen, uns von ihm bis zum Busbahnhof fahren zu lassen. Wir wollen zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur noch runter von diesem Bahnhofsparkplatz, dieses Gepresse ist mehr als unangenehm, auch wenn wir die Menschen verstehen können. Hier scheint keiner besonders betucht zu sein, es ist immer noch Nebensaison und die Menschen hier sind auf die Touristen angewiesen. Wenn es sich die Leute leisten könnten, ein potenzielles Geschäft auszuschlagen, würden sie entspannt in der Sonne sitzen und nicht wegen ein paar "Kuai" diesen Eiertanz zu vollführen. Trotzdem fühlen wir uns etwas veräppelt, als plötzlich ein Bus um die Ecke biegt und einige Meter hinter uns am Toilettenhäuschen stehen bleibt. Ich schaue auf die Liniennummer und es handelt sich eindeutig um unsere Verbindung! Der Taxifahrer, der bis vor ein paar Sekunden vehement verteidigt hat, dass hier definitiv heute keine Busse unterwegs sind, grinst uns verschmitzt und mit einer entschuldigenden Geste an: „Okay, I help you!“ und bevor wir irgendetwas sagen können schultert er meinen Rucksack und bringt ihn zum Bus. Ein letzter verzweifelter Versuch einer Verkäuferin, doch noch ein paar Bananen bei uns los zu werden ist am Ende dann auch erfolgreich - mit einer Hand Bananen reicher lassen wir uns in die Bussitze fallen und nach einer halben Stunde Wartezeit holpern wir in Richtung Nanjing. Nach einem Fahrzeugwechsel im Busbahnhof geht es endlich in die Berge, vorbei an noch mehr Bananenplantagen und winzigen Dörfern. Die Straße wird enger und kurvenreicher während wir der Bus langsamer und lauter zu werden scheint. Immer wieder halten wir an irgendwelchen unmarkierten Haltestellen an und Bewohner der umliegenden Dörfer steigen ein und aus. Die gut gefüllte Plastiktasche einer Mitfahrerin raschelt kurz, als sie sich neben uns setzt. Aus der zugebundenen Öffnung stehen bestimmt 8 Hühnerbeine hinaus. Heute ist wohl Markttag..

Ich schließe meine Augen und wache erst wieder auf, als der Bus langsam an einem überdimensionierten Parkplatz mitten in der Pampa hält. Vor uns befindet sich ein großes Gebäude und eine touristische Anlage die sicherlich mehrere Tausend Besucher empfangen könnte. Wow! Die Kapazitäten lassen auf einen unglaublichen Andrang an Touristen schließen. Hauptsächlich aber chinesische Touristen, hier verirren sich nicht viele westliche Reisende. Heute jedenfalls sind neben uns maximal 30 andere Besucher erschienenen. Wie beim Eintritt in einen Vergnügungspark stellen wir uns in die kurze Schlange vor den Ticketschaltern. Die Dame im Schalter spricht natürlich kein Englisch und gibt uns ein Handzeichen hier zu warten. Wenig später taucht eine jüngere, gut gelaunte und hochschwangere Kollegin auf und empfängt uns mit perfektem englisch. Wir brauchen 2 Eintrittskarten für die Scenic Area, um nach Taxia zu kommen. Mit diesen Tickets können wir dann sowohl den Shuttle Bus benutzen, als auch 3 Tulous des Hakka-Clans besuchen. Wir bezahlen und sie begleitet uns fröhlich plaudernd zu den zum Shuttle Service. Wieder stellen wir uns an und warten auf den Bus. Da wir die einzigen ausländischen Touristen sind, werden wir zur kleinen Nebenattraktion der Wartenden. Besonders unsere großen Rucksäcke werden bewundert und gleich mal reihum ausprobiert und für sehr schwer befunden. Ich bekomme dafür von den Männern ein anerkennendes „Daumen hoch“, bevor wir uns in den nächsten Bus quetschen. Endlich geht es hinein in die Scenic Area. Die Reisegruppe in unserem Bus besteht hauptsächlich aus einer Gruppe von älteren Ehepaaren, die einen gemeinsamen Ausflug unternehmen. Die Damen haben sich eindeutig schick gemacht und lachen viel. Immer wieder werden wir verstohlen von der Seite angeschaut, bis eine Dame den Mut zusammen nimmt und uns anspricht. Natürlich kann auch diese kein Wort Englisch und so versuchen wir mal wieder über google Translate in Kontakt zu treten. Es klappt sogar einigermaßen gut und wir bekommen viele „ohhhs“ und „ahhhs“ als wir erklären, dass wir bis nach China ohne Flugzeug gereist sind. Nach dem ersten Gefühl, eine Mischung aus Hochsicherheitstrakt und Vergnügungspark betreten zu haben, ändert sich das Bild schlagartig. Es geht durch dichte Wälder hinauf auf grüne Hügel und wieder hinab in mit Reis, Tee und Passionsfrüchte bestellten Tälern.

Nach 20 Minuten Fahrt erblicken wir das erste Hakka Tulou. Wir sind mehr als begeistert von der Kulisse! Wieso ist hier außer uns niemand? Diese Frage geht mir nicht mehr aus dem Kopf, als wir von einer kleinen Anhöhe aus über das wunderschöne Tal blicken. Etwas weiter unten schmiegen sich drei der altertümlichen Clanhäuser an den Hang. Natürlich sind hier noch andere Touristen, aber keine Backpacker oder ausländischen Touristen. Für Einheimische scheint der Ort jedoch ein beliebtes Ausflugsziel zu sein und unser Busfahrer besteht darauf, ein klassisches Beweisfoto von uns mit den Rundhäusern im Hintergrund zu knipsen. Die Bildsprache eines typischen chinesischen Touristen ist ja oft von der klassischen „Ich-war-hier-Pose“ geprägt. Während der Rest unserer Gruppe durch das Dorf läuft, fragt uns der Busfahrer wo wir eigentlich hin wollen, schließlich sind wir die einzigen die mit Gepäck in den Bus eingestiegen sind. Wir erklären, dass wir in Taxia aussteigen und dort in einem Guesthouse übernachten. Erschrocken schüttelt er den Kopf: der Bus hält nicht in Taxia! Bevor wir uns über die nächsten Schritte den Kopf zerbrechen können, hat er sein Handy am Ohr und gibt uns zu verstehen, dass er sich darum kümmert. Alles klar, warten wir es mal ab. Nach weiteren 15 Minuten Busfahrt dürfen wir das nächsten Rundhaus sogar von innen bestaunen. Es ist wirklich faszinierend: über mehrere Stockwerke erstreckt sich die rund gebaute Festung und beherbergt einen ganzen Klan. Das können, wie im größten Tulou der Region bis zu 200 Personen sein (Es gibt auch Tulous für bis zu 800 Menschen)! Als wir nach der Besichtigung wieder einsteigen wollen, zeigt unser Fahrer auf einen anderen Bus der auf der gegenüberliegenden Straße auf uns wartet. Schnell schnappen wir unsere Rucksäcke, winken der Reisegruppe zu und steigen in den leeren Bus ein. Dieser fährt nun anscheinend nur für uns zum kleinen Dörfchen Taxia. Auf dem Weg steigt niemand mehr zu und uns kommt der Fahrer noch vom riesigen Busparkplatz am Parkeingang bekannt vor. Als wir das nächste Mal halten komplimentiert er uns nickend aus dem Bus, macht kehrt und fährt wieder geradewegs wieder in die Richtung aus der wir gekommen sind.


Die Südseite von Taxia ist überschaubar.

Wo sind wir hier nur gelandet? Es ist absolut idyllisch, keine Touristen weit und breit zu sehen, nur zwei ältere Frauen die unverkrampft miteinander plaudern, während ein paar Hühner in den Fugen des Pflastersteins nach Körnern picken. Zu unserer Rechten dringt das beruhigende Plätschern eines klaren Bergflusses, eine Straße führt parallel dazu tiefer ins Tal hinein. An einem Holzzaun am Dorfrand hängt fein säuberlich aufgereiht, zum trocknen in der Sonne ein uns unbekanntes dunkelgrünes Blattgemüse. Wir haben keine Ahnung wo wir hin müssen, also fragen wir eine der Frauen nach unserem Guesthouse, die Adresse haben wir immerhin auf chinesisch im Handy gespeichert. Wir werden in eine kleine Gasse geschickt, die entlang kleiner, lose verstreuter Bauernhäuser zum Dorfkern zu führen scheint. Erst ist niemand zu sehen, dann hören wir die ersten Kinder von weitem spielen und lachen. Als wir nach ein paar Minuten Fußweg zum winzigen Dorfplatz kommen, können wir unsere Unterkunft schon von weitem erkennen. Am Rande des gepflasterten Platzes haben es sich die hiesigen Großeltern auf Plastikstühlen bequem gemacht und schauen den Enkeln beim Spielen zu. Eine fast unwirklich entschleunigte Szenerie chinesischen Dorfalltags. Die Kinder winken uns zu und wir begrüßen alle mit einem freundlichen „Ni Hao!“ Eine kurze Steinbrücke führt direkt vom Platz über eine Art Fischteich hin zu unserem hübschen Tulou. Auch hier tragen frei umherlaufende Hühner und das flache Licht der Nachmittagssonne zum pittoresken Bild bei.

Unser Guesthouse ist wie schon erwähnt ein traditionelles Hakka-Gebäude, jedoch mit 2 Besonderheiten: es ist nicht rund, sondern quadratisch und nicht aus Lehm erbaut, sondern komplett aus Holz. Die schweren mit Metall beschlagenen Tore stehen offen und als wir über die mächtige Steinerne Schwelle treten, finden wir uns in eine kleinen Innenhof wieder. An einem Tisch, der einzig und allein fürs Teetrinken aus einer Wurzel eines mächtigen Baumes geschnitten wurde, sitzt unser Host vertieft in sein Handy und zieht an seiner Zigarette. Als er uns bemerkt, springt er auf und führt uns die steilen Treppenstufen hinauf zu unserem Zimmer. Wir laden erstmal unsere Rucksäcke ab und machen uns erst einmal mit der winzigen Stube vertraut. Hier haben früher viele Familienmitglieder gewohnt, doch viele sind mittlerweile in die Städte gezogen, vor allem die Jungen Leute studieren und richten sich ein angenehmeres Leben im urbaneren Raum ein. Somit wurde das Tulou kurzerhand zum Hotel umstrukturiert. Als wir etwas später die Treppen wieder hinunter steigen, werden wir auf sofort auf einen Tee eingeladen. Am glatt polierten Teetisch sitzt neben unserem Host nun auch noch Jong, der so gleich seine Englischkenntnisse an uns erprobt. Er ist Guide & Fahrer für Touristen und führt gerade ein junges chinesisches Pärchen durchs Hakka Gebiet. Prompt läd er uns ein, sie heute Abend zum Essen zu begleiten. Solche Angebote schlagen wir schon lange nicht mehr aus und sagen dankbar zu. Mit Einheimischen unterwegs zu sein, ist ein ganz anderes Erlebnis. Man erfährt aus erster Hand etwas über Land und Leute, so nah dran kann kein Reiseführer sein.

Wenig später sitzen wir dann in Jongs schickem Wagen und unterhalten uns mit Wang und seiner Frau (Mist, wir können uns einfach nicht mehr an ihren Namen erinnern!). Die Beiden sind total nett und geben sich größte Mühe mit ihrem Englisch. Als wir im unteren Dorfkern Taxias ankommen, sind wir von der einfachen Schönheit des altertümlichen Dörfchens ziemlich angetan. Das kleine Sträßchen von dem wir kommen schlängelt sich weiter am Flussufer entlang bis zur nächsten Anhöhe. Über den Fluß führt eine alte steinerne Brücke hinauf in ein kleines Markt- und Künstlerviertel. In den winzigen Häuschen findet man Obststände, Tee aus der Umgebung, frisches Gemüse, Handgeschnitztes aus Holz und anderen Nippes für die Touries. Folgt man hier dem Gässchen weiter den Berg hinauf, kommt man zum Dorftempel. Wir haben aber alle ziemlichen Hunger, also wird das Sightseeing auf morgen verschoben. Direkt am Flüsschen reihen sich gleich 3 Familienrestaurants aneinander. Wir wählen jenes aus, welches von der Terrasse aus den besten Blick auf die alten Fasaden des Dorfes hat. Die schöne Brücke ist nachts zugegebenermaßen etwas kirmesartig beleuchtet, auch hier hat der neuzeitige asiatische Kitsch eben Einuzg erlangt. Bevor es los geht, erklären wir wie immer, dass wir Vegetarier. Kein Problem für unsere Begleiter, ein kurzer Wortwechsel auf chinesisch und dann wird uns freudestrahlend verkündet, dass heute Abend alle vegetarisch essen werden. Heute Abend wird es uns auch ziemlich einfach gemacht: Die Karte ist weder auf englisch verfügbar noch ist sie bebildert, also lassen wir unsere neuen Freunde die Bestellung übernehmen. Wenig später erscheinen die ersten Köstlichkeiten auf dem Tisch. Gebratene Aubergine, Pak Choi, Tofu, Suppe, gebratene grüne Bohnen, Sechuan Kartoffeln, Wasserspinat, Tomaten mit Rührei, Reis, gebratene Nudeln, gebackene Pilze im Teigmantel... Die Bedienung bringt einen Teller nach dem anderen an den Tisch und allen wird klar, dass wohl etwas zu viel bestellt wurde. Das ist in China aber auch normal, es gehört zum guten Ton mehr zu bestellen als man essen kann. Wenn bei uns jemand den Teller nicht auf ist, gilt er als verschwenderisch, oder undankbar. In China gilt der, der alles auf isst als gieriger Vielfrass oder es ist ein Zeichen, das der Gastgeber am Essen gespart hat. So verschieden werden wir eben sozialisiert - andere Länder, andere Sitten, wie man so schön sagt. Trotzdem verstehen wir uns prächtig. Die chinesische Etikette kommt uns trotzdem sehr verschwenderisch vor und deshalb halten wir uns in der Regel auch nicht an diese Gepflogenheiten. Wir thematisieren das dann einfach kurz damit kein falscher Eindruck entsteht. Viele Chinesen (und anders rum auch viele Deutsche zuhause) sind sich solcher kleinen, aber in beiden Kulturen sehr ernst genommenen Tischmanieren nicht bewusst. Heute Abend können aber auch wir nicht alles aufessen, es war gut gemeint, aber es wurde einfach zu viel bestellt. Wir haben jedoch einen wunderbaren Abend und lachen viel mit Jong, Wang und seiner Frau.

Wir lernen, dass Wang gerade mitten in seiner 2-zweijährigen Wehrpflicht beim Militär steckt und deshalb China auch nicht verlassen darf (bis auf Tibet, das ist dann aber eher eine Berufsreise…) Daher entdecken die beiden momentan ihr eigenes Land und geben uns unglaublich viele Tipps zu Orten, die wir unbedingt bereisen müssen, solange wir noch im Land sind. Wenn die Wehrpflicht rum ist, wollen sie aber aber auch einmal raus aus China, klar laden wir sie da mal nach Deutschland ein. Auch Wangs quirlige Frau hat einen Beruf bei einem Staatsorgan. Wenn man das so hört, könnte man sofort seinen Teil dazu denken. Sind diese beiden jungen Leute wirklich die kopflosen Marionetten einer Einparteiendiktatur? Was wir dazu sagen können ist, das diese Eindimensionalität bei den wenigsten Menschen zutrifft. Auch sie sind nicht mit allem einverstanden, was die Regierung beschließt, aber auch nicht allem abgeneigt. Es sind eigenständig denkende Menschen die hier mit uns am Tisch sitzen und allein durch die schiere Bevölkerungszahl ist das komplette chinesische Volk nicht so einfach zu deckeln wie in Nordkorea. Nicht das die Regierung sich keine Mühe geben würde, mit ungeheuren Maßnahmen wie den Minderheitenlagern im nordwesten des Landes, oder des neuen stasihaften Bewertungssystems, das eine besonders perfide Art der Überwachung des Bürgers erlaubt. Trotzdem erzählt hier ein Soldat ganz offen, das fast jeder einen VPN-Clienten nutzt um die Internetsperre der Regierung zu umgehen um auch Zugang zu westlichen Medien zu haben. Nach dem Essen beschließen wir spontan noch einmal zur Siedlung unseres zu erst besichtigten Hakka Klans zu fahren. Jong meint, dass die Toulouse abends von den vielen Lichtern beleuchtet und ohne die ganzen Touristen noch viel schöner sind. Als wir ankommen, wissen wir sofort was er meint. Die Touristenattraktion ist in Abends wie verwandelt. Die Kinder des Clans spielen in den Innenhöfen des größten Tulous, eine alte Frau sitzt über eine Kiste losen Tabak gebeugt und rollt frische Zigarren, die am nächsten Tag verkauft werden. In einem großen Kessel wird das Blattgemüse gekocht, das wir an anderer Stelle zum Trocknen aufgehängt gesehen haben. Aus einem Häuschen nebenan dröhnt gedämpfte chinesische Popmusik, eine Lichtorgel schickt ihre bunten Strahlen unregelmäßig in den Nachthimmel: die hiesige Dorfdisko.

Das Leben der Hakka hat sich geändert durch die Ernennung zum Weltkulturerbe und den anschließenden Tourismusandrang. Es ist wie so oft ein Tauziehen zwischen Für und Wider. Die Klanmitglieder unterstützen sich gegenseitig seit Jahrhunderten und lebten im Kreise einer starken Gemeinschaft. Sie hatten mitten im Tulou ihre eigene Schule, waren unabhängige Bauern und handelten mit anderen Klans. Trotzdem war es auch immer ein hartes Leben hier in den Bergen und die Verlockungen der Neuzeit zog viele nach und nach in die Städte. Bildung ist schon lange Staatssache in China und jede Minderheit wird sowieso streng beobachtet. In den Ballungsgebieten wartete ein einfacheres Leben mit neuen Chancen. Wenn der Klan aber schrumpft, verliert er auch an Stärke und so war der Tourismus eine willkommene Einkommensquelle, auch wenn das Gebiet bestimmt einiges von seinem ursprünglichen Charme verloren hat. Wir sind jedenfalls sehr dankbar, dass wir einen kleinen Einblick in das unverfälschte Leben der hier Lebenden Menschen bekommen haben.

Wang hat uns von seinem Zimmer aus beim Frühstücken geknippst.

Am nächsten Tag werden wir mit einem fantastischen vegetarischen Frühstück empfangen. Neben der zum Frühstuck üblichen Reissuppe gibt es eingelegten, im Wok angebratenen Rettich. Wir können erst nicht glauben dass diese fleischig aussehenden Stückchen tatsächlich Rettich sein sollen, das Zeug schmeckt vorzüglich! Dazu werden frisch gedämpfte Buns, gekochtes Blattgemüße, Eier der eigenen Hühner und frisch geröstete, gesalzene Erdnüsse gereicht. Zum trinken gibts grünen Tee. Dieses authentische Frühstück hat uns ungefähr einen Euro pro Person gekostet. Die Hühner, die sich nach jedem missglückten Versuch die Essstäbchen zu benutzen um die herabgefallenen Krümel zanken gibts gratis dazu. Nur gut, dass uns der Umgang mit dem asiatischen Besteck ziemlich gut von der Hand geht.

Erneut werden wir von Wang eingeladen, sie ein letztes Mal zu einem der Erdhäuser zu begleiten. Es ist verdammt schön, offene Menschen aus anderen Ländern zu treffen, mit denen man sich zwanglos austauschen kann und somit noch ein bisschen mehr über Land und Leute erfährt. In China ist dies aufgrund der Sprachbarriere nicht so einfach möglich und daher sind wir dankbar für jede Begegnung dieser Art. Als wir das alte Gebäude zusammen besichtigen, kommt sofort ein älterer Mann mit einer in die Jahre gekommenen Kamera auf uns zu und will Bilder von uns schießen. Er zückt die Kamera noch bevor wir irgendetwas sagen können, und ballert los. Uns ist natürlich klar, das er das nicht kostenlos macht und jeder von uns hat eine Kamera in der Hand, da brauchen wir seine Dienste nun wirklich nicht. Wang flüstert ihm etwas zu und schon dampft das Männchen ab in eines der vielen Räume des Rundhauses. Als er wieder kommt, hat er 2 laminierte Din-A4 Ausdrucke des Gruppenbildes dabei und überreicht sie Wang freudestrahlend. Das zweite Exemplar schenkt uns Wang. „That you don’t forget!“, sagt er mit einem Zwinkern. Wie könnten wir das alles nur vergessen?

Den Rest des Tages erkunden wir Taxia und die unmittelbare Umgebung zu Fuß. Der Fußweg am Fluß wurde anscheinend erst vor kurzem restauriert und führt zwischen Fluss und privaten Gemüse- und Blumengärten von einem Ende des Dorfes zum anderen. Wir können jedem der durch China reist und auf der Suche nach Ruhe und Gelassenheit ist, nur empfehlen in Taxia vorbeizuschauen! Es wurde neben einem hübschen, winzigen Backpacker nun auch ein etwas größeres Hotel eröffnet und wir wissen nicht, was die Zukunft für das zumindest in der Nebensaison verschlafene Dörfchen bereit hält - uns hat der Abstecher in den chinesischen Kurort aber ziemlich gut getan. Der Unterschied zwischen diesem abgeschiedenen Bergdorf einer uralten kulturellen Minderheit und unserem nächsten Reiseziel könnte größer nicht sein: Es geht in die High-Tech Stadt Shenzhen: das Silicon Valley Chinas!