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Japan Teil 1 - Die grüne Insel

Wunderbar - der Himmel ist dunkelgrau und es hat ordentlich Wellengang als wir im Hafen unser Gepäck Richtung Zoll schleppen. Genau solche Bedingungen wünscht man sich, wenn man mit all seinem Hab und Gut übers Meer tuckert. 2015 ist ein Boot der Fährgesellschaft mit einem Zwergwal (der misst ja auch nur 7 – 9 Meter…) zusammengestoßen und musste wieder nach Südkorea geschleppt werden. Zum Glück wussten wir zum Zeitpunkt der Überfahrt nichts von dem Unglück. ;)
Beim Boarding macht sich dann sofort der Unterschied zwischen den bisher bestiegenen chinesischen Fähren bemerkbar. Bei der „Beetle“ handelt es sich um ein modernes Tragflügelboot, welches sich bei höherer Geschwindigkeit über dem Wasserspiegel bewegt und somit auch kaum anfällig für das typische Schiffschaukeln bei hohem Wellengang ist. Nach angenehmen 3 Stunden Speedboat-Fahrt kommen wir auch schon am Hafen von Fukuoka an. Wir sind in Japan!
Schon seltsam, wie das Leben manchmal so spielt: vor gerade mal einem Monat war uns noch klar, das Japan nicht drin ist. Und dann werden die Karten wieder neu gemischt, einfach so. Fest beschlossene Pläne zerbrechen schmerzhaft in tausend Stücke und neue Möglichkeiten wuchern wie Unkraut aus dem Scherbenhaufen. Nach der ganzen Sache mit Sumo dachten wir uns umso mehr: Jetzt erst recht! Trotzdem fühlt es sich fast unwirklich an, als wir vom Landing Pier aufs Festland treten. Beim Start dieses Abenteuers im August 2017 war Japan nicht eingezeichnet auf unserer Reiseroute, jedoch träumten wir schon lange vom“ Land des Lächelns“. Eine Destination, die auf unserer Bucketlist ganz weit oben steht und doch allem Anschein nach in naher Zukunft nicht zu realisieren ist. Nun sind wir hier, am kleinen Hafen vom südlich gelegenen Fukuoka mit einer Adresse unserer Couchsurfing Hosts in der Hand. Es ist bereits dunkel draußen und die Touristenformation und Geldwechselstuben am Hafen haben bereits geschlossen. Also springen wir einfach in den nächstbesten Bus. Japanische Yen haben wir noch keine, deshalb strecken wir dem Fahrer mit fragendem Gesichtsausdruck unsere Visakarte entgegen. Der Busfahrer schüttelt daraufhin energischen den Kopf und winkt uns durch. Okay, vielleicht ist der Bus in die Stadt kostenlos? Kostenlosen öffentlichen Nahverkehr soll es ja in manchen Ländern ab und an geben..  Mit einem etwas mulmigen Gefühl steigen wir ein; das Surren des Hybridmotors klingt bei jeder Anfahrt der nächsten Haltestelle mehr nach „Schhhhhhhwarzfahren“. Beim aussteigen bemerken wir dann schnell, dass alle Passagiere dem Busfahrer ein Ticket vorzeigen oder ihm Geld in die Hand drücken. Tja, wir können ihm nur unseren leeren Geldbeutel zeigen, diese Geste ist international verständlich. Am gegenüberliegenden Geldautomaten versuchen wir hektisch Geld abzuheben, der Automat will unsere Visa Karte aber nicht annehmen.. Da der Bus natürlich weiter muss haben wir Glück und der Fahrer lässt uns mit einem Lächeln ohne Ticket ziehen. Der Touristenbonus – schon öfter hat er uns geholfen. Er geht aber immer einher mit einem verschmitzten Blick der zu sagen scheint „die blädn Touries, die wissens halt nicht besser“. Wir sind mittlerweile gut geübt in einem charmanten Schulterzucken als Antwort. Trotzdem: Damit uns das in naher Zukunft nicht wieder passiert, heben wir Geld in einem gut sortierten Convinience Store (hierzu später mehr) ab und quetschen uns - diesmal mit gültigem Ticket, in die clichehaft überfüllte Metro.
20 Minuten später sind wir bei Keiko und ihrer Familie angekommen. Sie war die Einzige die uns auf unsere Couchsurfinganfrage geantwortet hat und wir werden herzlich von unserer Gastfamilie empfangen. Es herrscht ein sympathisches Chaos und die Kinder rennen aufgeregt durch die Wohnung als wir ankommen. Keiko und ihr Mann haben drei kleine, aufgeweckte und neugierige Mädchen. Wir verbringen einen enspannten Abend zusammen und plaudern übers Reisen und unsere jeweiligen Heimatländer. Bei vegetarischem Sushi welches Keiko extra für uns besorgt hat (ja, auch die Kinder essen ihr Sushi und zwar so unaufgeregt, wie ein deutsches Kind sein abendliches Käsebrot;) und Bier erzählt sie uns, dass sie erst seit einigen Monaten in Fukuoka leben. Ihre Heimatstadt Osaka mussten sie aus beruflichen Gründen verlassen. Da ihnen das Reisen und ihre Freunde fehlen, haben sie angefangen eins ihrer Zimmer Couchsurfern zur Verfügung zu stellen. Unser Glück, denn Keiko und ihr Mann sind einfach toll und die Mädels total witzig. Wir schlafen wunderbar auf dem gemütlichen Futon und beim Frühstück hilft uns Keiko dabei, ein Schild fürs hitchhiking zu basteln. Wir wollen bis Tokio trampen um ein bisschen Geld zu sparen. Der Ruf des teuren Reiselandes eilt Japan voraus und wir wollen so günstig wie möglich voran kommen, um so viel wie möglich sehen zu können. Für die erste Etappe haben wir 4 Tage Zeit, denn in Tokio wartet bereits eine weiterer Housesitting Job auf uns. Keiko, ihr Mann und vor allem die Kinder wollen uns unbedingt zu einer Autobahnraststätte außerhalb der Stadt fahren um uns den Einstieg zu erleichtern. Dieses Angebot können wir einfach nicht ablehnen und so sitzen wir nach dem Frühstück im schmalen japanischen Minivan Richtung Mautstraße. Es ist kalt draußen und schon kleben die ersten Schneeflocken an der Windschutzscheibe. Während auf einem an der Decke montierten Bildschirm ein japanischer Zeichentrickfilm läuft schlafen die Kinder ein. Hoffentlich haben die Autofahrer bei dem Wetter etwas mehr Mitleid mit uns. Nach einer halben Stunde steigen wir an einer Autobahnraststätte aus. Ein gemeinsames Abschiedsbild darf natürlich nicht fehlen und wie kalt es an diesem Tag wirklich war kann man an den Gesichtern der Kinder ablesen. Danke Keiko, ein besseres Beispiel der japanischen Gastfreundlichkeit hätten wir nicht finden können.

 

Eine ganze Weile stehen wir auf dem verschneiten Parkplatz und halten unser Schild jedem Auto entgegen, das Richtung Norden fährt. Manche werden langsamer um einen besseren Blick auf uns zu erhaschen, aber kurze der kurze Hoffnungsschimmer verfliegt schnell wenn sie dann nur freundlich winken, oder uns den Daumen grinsend entgegenstrecken. Aus dem Nichts taucht dann plötzlich ein Mann vor uns auf, drückt uns eine Tüte in die Hand und läuft nach kurzem Nicken zielstrebig weiter zu seinem Truck. Wir können es nicht fassen: er hat uns zwei warme Kaffee und aus Reismehl gefertigte Süßigkeiten (Mochi) gekauft. Wir verbeugen uns nach japanischer Tradition, als er winkend auf den Highway auffährt. Motiviert durch die selbstlose Tat eines Fremden warten wir noch eine halbe Stunde ehe endlich ein Auto neben uns hält und uns mit nimmt. Drei Mitfahrgelegenheiten später kommen wir im Dämmerlicht der untergehenden Sonne auf einem Rasthof am Rande von Hiroshima an. Auch Japan ist also ein absolut Hitchhiking-freundliches Land.
Das Hotel direkt am Rastplatz liegt leider weit außerhalb unseres Budgets und so fragen wir die nette Empfangsdame, ob wir das Hotel-WIFI benutzen dürfen um eine geeignetere Unterkunft zu suchen. Gar kein Problem und nachdem wir ihr via Google Translate von unserer Art zu Reisen berichtet haben bekommen wir zusätzlich zum WLAN-Schlüssel, jeweils eine Tasse Kaffee serviert. Wir freuen uns über das zweite warme Getränk und durchsuchen die Weiten des Internets nach einem Schlafplatz in der Nähe und werden fündig: ein Hostel befindet sich einen ca. 5 km langen Fußmarsch vom Rastplatz entfernt. Also schnappen wir unsere Rucksäcke, bedanken uns bei der hilfsbereiten Rezeptionistin (die uns zum Abschied eine Tüte mit Keksen und Mandarinen in die Hand drückt) und machen uns auf den Weg nach draußen. Schon gilt es das nächste Problem zu Lösen: wir befinden uns auf einem Autobahn-Rastplatz - wie sollen wir von hier auf eine andere Straße kommen? In Vietnam mag man den Highway öfters mal benutzen um seine Wasserbüffel zum nächsten Reisfeld zu treiben, oder mit dem Fahrrad von der Schule heim zu radeln - Japan ist in dieser Hinsicht aber mehr mit Deutschland, als mit anderen asiatischen Ländern zu vergleichen. Wenn hier jemand zu Fuß auf der Schnellstraße entlang spaziert, gibt es eher eine Warnung im Radio und eine Freifahrt aufs nächste Revier. Bei solch einer Situation hilft eines immer am Besten: einen Einheimischen um Rat fragen. Der Kioskbesitzer, der gerade dabei ist seinen Stand abzubauen organisiert uns kurzerhand eine Mitfahrgelegenheit mit einer älteren Dame, deren Taxi bereits um die Ecke wartet. Wir werden am nächsten Bahnhof abgesetzt und sind dankbar nun nur noch 3 Kilometer mit vollem Gepäck vor uns zu haben. Die Temperaturen in Hiroshima sind um einiges milder als noch heute Morgen in Fukuoka und so ist der abendliche Spaziergang durch die Wohnsiedlung eine willkommene Abwechslung zur stundenlangen Autofahrt. Auch hier fällt uns wieder auf, dass Japan sein ganz eigenes Flair hat. Alles ist irgendwie kleiner und gemütlicher; ordentlicher und ruhiger – die Menschen machen es sich nett und haben einen Blick fürs Detail, trotzdem ist alles von einer sympathischen Schlichtheit geprägt. Nach Kitsch muss man lange Ausschau halten. Beim Hostel angekommen entscheiden wir uns für zwei Betten im 12er Dorm. Das Hostel ist riesig und so sauber wie noch keine andere Unterkunft zuvor. Dank Nebensaison sind kaum andere Gäste zu Besuch und in unserem großen Mehrbettzimmer liegt nur noch eine andere Person. Beim Abendessen entschließen wir uns dann dazu, noch einen Tag länger in Hiroshima zu bleiben und am nächsten Tag die kleine Insel Miyajima zu besuchen.
Beim Hostel Fahrräder zu leihen kostet uns gerade einmal 2 € pro Tag und so machen wir uns diesmal mit 2 einfachen, aber bequem zu fahrenden 1-Gang-Rädern auf den Weg. Die Fähre liegt nur 20 Minuten von unserer Unterkunft entfernt und das Wetter spielt auch mit: bei strahlendem Sonnenschein radeln wir durch den gemütlichen Vorort Hiroshimas. Die Tickets für die Fähre nach Miyajima sind erschwinglich und als wir dem tiefgrünen Berg im Wasser langsam näher kommen, stellt sich der Entdeckertrieb ganz automatisch ein. Ohne ein wirkliches Ziel vor Augen radeln wir los. Die Richtung ergibt sich uns schnell, als wir die Menschenmassen nach Westen wandern sehen - also ab an die Ostküste der kleinen Insel. Nach 5 Minuten ist kein Tourist mehr zu sehen und die Straße führt entlang an kleinen Buchten, leeren Strandabschnitten und bewaldeten Hügeln. Zwischen dem dichten Grün am Straßenrand taucht ab und an ein kleines Häuschen auf. Nach einer etwas anstrengenderen Bergauffahrt halten wir an einem verwachsenen Pfad, der zur Küste zu führen scheint. „Warum nicht?“, denken wir uns und steigen zu Fuß den schmalen Weg hinab. Unter alten knorrigen Bäumen hindurch, die ihre Luftwurzeln wie Perlenvorhänge von den mächtigen Ästen baumeln lassen, steigen wir bergab ins Ungewisse. Plötzlich lichtet sich der Wald und sich im Wind beugende Schatten weichen gleitendem Sonnenschein. Das Meer glitzert in Strandnähe klar und türkis und geht langsam über in tiefes Blau: Wir befinden uns an einer winzigen versteckten Bucht, an der in vielen Reihen aufgefädelte Muscheln an hölzernen Vorrichtungen hängen. Hier werden wohl die für die Region so bekannten Austern gezüchtet, momentan stehen hier anscheinend aber Wartungsarbeiten an. Still stehen wir im Sand, das gleichmäßige Rauschen der Brandung wird nur von dem entfernten Ruf einer Möwe durchbrochen. Nur eines stört (wie wir schon oft und in allen Ecken der Welt erleben mussten) das malerische Idyll: vergilbte Styroporreste, längst geleerte Bierdosen, Plastikmüll und zerrissenes Bootstau liegt halb vergraben im Sand, oder wippt langsam im Wasser hin und her. Wenn so etwas in Japan, eines der saubersten Länder die wir je besucht haben passiert, dann kann man sich sehr gut die im Meer treibenden Müllinseln vor so manchem südost-asiatischen Land vorstellen. Trotzdem können wir die Eindrücke der Küstenlandschaft genießen und nach ein paar Minuten auf dem sich bergauf windenden Pfad können wir auf dem Fahrrad die anstehende Talfahrt genießen. Immer wieder werfen wir uns wissende Blicke zu, wir fühlen genau was der Andere von dieser Landschaft hält: die parallelen zum Setting eines Studio Giblih Films sind mehr als deutlich zu spüren. Jeder der die zauberhaften Zeichentrickfilme der japanischen Meister Hayao Miyazaki und Isao Takahata kennt, mag die Stimmung erahnen, die so etwas einfaches wie eine Fahrradfahrt durch eine malerische Landschaft zu etwas ganz Besonderem werden lässt. Das Licht fällt in schmalen Streifen durch die Baumwipfel auf die Straße und lässt tanzende Schatten über uns hinweg ziehen. Es ist still bis auf das Zirpen der Zikaden, dem angenehmen Surren der Räder im Leerlauf und der leichten Brise die flüsternd durch die Baumwipfel bläst. Hinter jeder Kurve erwarten wir Totoro mit aufgespanntem Schirm an einer verwitterten Bushaltestelle zu erblicken.
Immer wieder treffen wir auf die hier frei lebenden Rehe - sie dösen gemütlich auf einer Lichtung, oder zupfen neue Triebe vom Gebüsch am Straßenrand. Andere springen über die Gehwege, oder spazieren in Gruppen am Strand entlang.Ganz im Gegenteil zum europäischen Wild, sind die japanischen Vetter jedoch überhaupt nicht scheu. Durch die unzähligen Touristen, die für die Sehenswürdigkeiten auf die Insel strömen, sind die Tiere nun halbzahm und den Anblick der Menschen gewöhnt. Oft schauen sie uns nur mit ihren wunderschönen Augen verwundert an – ein paar ganz Mutige erhoffen sich wohl Futter und umkreisen Tobi erwartungsvoll als wir an einem Stand halten um die Insellandschaft vor der Südküste zu bestaunen. Die in der Ferne grün schimmernden Inselchen ragen wie  moosbewachsene Schildkröteenpanzer aus dem Wasser. Wieder keine Seele weit und breit und so haben wir die Postkartenhafte Aussicht ganz für uns allein! Am Ende des Küstensträßchens liegt dann die nächste Überraschung: ein verlassen wirkender Campingplatz geht vom Strand in den grünen Berghang über. Zu unserer Rechten steht ein betagtes Gebäude windschief im Sand. Wir testen die verglasten Schwingtüren mit leichtem Druck und stehen daraufhin in einer beige gefliesten Eingangshalle. Rechts steht der Empfang und hinter einer Glasscheibe sitzt tief gebeugt über massenhaft Papierkram ein älterer Herr am Schreibtisch. Die Buchhaltung wird wohl auf die Nebensaison verschoben. Links steht neben einer Kühltruhe voller Speiseeis ein Aquarium. Zierfische schweben an wehendem Seegras vorbei, am blubbernden Sauerstoffschlauch klammert sich angestrengt eine kleine Languste. Durch eine große Glasfront scheint das Nachmittagslicht auf eine Sitzgruppe. Die Kaffeemaschine an der Rezeption scheint verführerisch nach Tobi zu rufen und so verweilen wir eine viertel Stündchen auf den 60er Jahre Sesseln und genießen den billigen Automatenkaffee. Im Sommer ist hier sicherlich viel los. Jetzt Anfang Januar scheint die Ferienanlage wie ausgestorben – nur ein paar Rehe grasen auf den gepflegten Hügeln des Geländes; von weit her dringt das monotone Summen eines Rasenmähers an mein Ohr. Koffeinbetankt machen wir uns auf den Rückweg und freuen uns, die lieb gewonnene Straße erneut befahren zu dürfen. Bis auf ein paar Fischer die mit Bootsarbeiten beschäftigt sind und einem alten Männchen auf dem Fahrrad begegnen wir niemandem. Sobald wir wieder am kleinen Fährhafen ankommen ändert sich dies jedoch schlagartig. Miyajima ist bei Besuchern aus aller Welt so beliebt, weil man hier den berühmten schwimmenden Torii Schrein bewundern kann. Ob in Hochglanzkatalogen im Reisebüro, in der ARD-Doku über Japan, oder auf einem der unzähligen Instagram-Accounts - jeder hat das Bild in minimal abgeänderter Version schon einmal gesehen. Am Ufer davor drängen sich die Touristen und wetteifern um den besten Standort fürs Erinnerungsfoto und so verschieben wir das klassische Urlaubsbild auf später, um den Massen an Selfie-Sticks zu entfliehen. Das angrenzende, mit traditioneller japanischer Architektur überzeugende Dorf reagierte auf den täglichen Ansturm mit einer Aneinanderreihung von Restaurants, Souvenirläden und kleinen Hotels. In den schmalen Gassen schieben sich die Menschen von einem Laden zum Anderen. Mit dem Fahrrad sind wir jedoch schnell an der anderen Seite des Dorfes angelangt und als wir am nächsten Berghang gegen die Schwerkraft ankämpfen, ist es wieder ruhig und menschenleer. Das vor uns liegende Sträßchen mäandert am Hang entlang durch dunkelgrüne, urwaldartige Flora, rechts blitzt immer wieder das Meer durch die Bäume. Die Straße wird enger, windet sich den Berg hoch und fällt dann wieder ab, bis der Boden am Straßenrand sandig wird. Als die untergehende Sonne das Meer in violetten Tönen glänzen lässt, verspüren wir dieses besondere Gefühl das die anspruchsvolle japanische Animationskunst so trefflich zu zeichnen vermag aufs Neue – eine Mischung aus Zufriedenheit und Melancholie. Wie damals als Kind in der letzten Woche der Sommerferien…

Es ist bereits dunkel als wir wieder auf der Fähre Richtung Festland stehen, auf dem Rückweg kaufen wir noch im nahe gelegenen Supermarkt fürs Abendessen ein. Mit dem Fahrrad in einer fremden Umgebung unterwegs zu sein, ist einfach wunderbar. Sobald man im Sattel sitzt und so banale Dinge erledigt wie kurz einkaufen zu gehen, oder zum nächsten Geldautomaten zu radeln, stellt sich sofort eine Art Heimatgefühl ein. Man steht nicht mit Stadtplan am Gehweg, voll bepackt mit großen Rucksäcken, sondern fährt von A nach B, wie es die Einheimischen eben auch tagtäglich tun. Diese Art der Fortbewegung wollen wir auf jeden Fall in Zukunft in unsere Reise einbeziehen. Bei einem Bierchen lassen wir den Abend ausklingen – wie doch eine unspektaküläre Fahrradtour zu einem ganz besonderen Erlebnis werden kann!

Aus Zeitmangel müssen wir uns leider dazu entschließen, die Erkundung der Innenstadt Hiroshimas auf eine spätere Reise zu verschieben. Die Stadt mit ihrer bewegenden, zu tiefst tragischen Geschichte stand eigentlich auf unserem Reiseplan. Immer versuchen wir uns ein differenziertes Bild eines Landes zu machen, oft fernab der großen Tourismusziele. Diesmal kam es etwas anders, wir bereuen es aber auf keinen Fall.
Am nächsten Tag schaffen wir es dann tatsächlich bis Himeji. Wir haben noch nie etwas von dieser Stadt gehört, aber die drei Jungs die uns mitgenommen haben beteuern uns, dass die berühmte Burg von Himeji eine Besichtigung wert ist. Wir bedanken uns für den Tipp, trotzdem können wir uns mit dem Gedanken nicht anfreunden, dieser Touristenattraktion einen Besuch abzustatten, immerhin haben wir in Deutschland doch genügend Burgen, oder? Wir werden schnell eines besseren belehrt: schon als wir aus dem Auto steigen strahlen uns die kalkweißen Mauern der Burg hell am Horizont entgegen. Die schwarzen geziegelten Dächer der vielen Stockwerke stehen zum weißen Anstrich hart in Kontrast. So eine Burg gibt es in Europa tatsächlich nicht. Im Hostel angekommen, werden wir von den wahrscheinlich nettesten Hostelbesitzern unserer ganzen Reise empfangen. Sofort bekommen wir dampfenden grünen Tee und Kekse serviert. Neugierig beäugen uns die zwei weiteren Gäste des Hostels. Yoko, eine sympathische Japanerin aus Tokyo kann nicht glauben als Sie hört, dass wir morgen früh weiter trampen wollen ohne das Schloss gesehen zu haben. Hartnäckig versucht sie uns eine Besichtigung schmackhaft zu machen, auf ihrem iPad dürfen wir die alten Gemäuer und den beeindruckenden japanische Schlossgarten schon einmal bewundern. Wir haben jedoch nur noch zwei Tage, um zu unserem Hunde-Sitting nach Tokyo zu kommen und um Geld zu sparen wollen wir weiter trampen und keinen der teuren Busse nehmen. Auch hierauf hat sie verschmitzt eine Antwort parat: “Nehmt einen günstigen Nachtbus! Da spart ihr euch die Übernachtung und ihr könnt euch morgen ganz in Ruhe Himeji anschauen. Ich fahre auch erst morgen Abend mit dem Nachtbus, ich könnte euer Guide sein!”, erklärt sie aufgeregt und sucht uns schnell die günstigste Verbindung für den nächsten Abend raus. Tobi und ich schauen uns an und nicken, Yoko hat uns überzeugt. Also buchen wir den Nachtbus und verabreden uns mit unserem Tourguide für den nächsten Tag.
Auf dem Weg zur Burg erklärt uns Yoko, dass sie Altenpflegerin ist, jedoch am liebsten Touristen durch Tokyo führen würde. Dafür lernt sie schon seit einigen Monaten fleißig und hofft, die Prüfung dieses Jahr zu bestehen. Es ist wieder ein sonniger Tag und die Führung durch die Burg ist um einiges interessanter, als ich zunächst dachte. Das Grundgerüst des mehrstöckigen Gebäudes ist komplett aus Holz erbaut worden, nur der riesige Sockel der als Fundament und Erhöhung dient, besteht aus massigen Steinquadern. Hierdurch ist die weiße Burg in der flachem Umgebung schon meilenweit zu erkennen. Die vielen verschiedenen Stockwerke sind mit allerlei Raffinessen des Festungskrieges ausgestattet. Verstecke für die Wachmänner in Zwischenwänden, Klappen in den Wänden um Steinbrocken auf herauskletternde Feinde zu werfen und diverse Halterungen für Spießwaffen und co. Ja, wir sind nun voll informiert über die Kriegstaktiken des 17. Jahrhunderts in Japan. Yoko blüht auf in ihrer neuen Rolle der Touristenführerin und im Anschluss schlendern wir durch den schön angelegten japanischen Garten. Nachmittags heißt es dann Abschied nehmen von Yoko – ihr Bus fährt bereits am frühen Abend, wir müssen jedoch bis 23:00 Uhr auf unsere Abfahrt warten. Also schlendern wir gemaltich durch das hiesige Netzwerk von Arkaden. Überdachte Einkaufsstraßen in denen sich kleine Läden, Restaurants, Kneipen und Gallerien aneinander reihen. Wir finden ein kleines, gemütliches Ecklokal mit vorzüglicher Pasta. Ein anschließender Verdauungsspaziergang  rundet das Mahl dann ab. Draußen wird es schon wieder frischer und Tobi fühlt sich nicht sehr gut, also machen wir uns auf die Suche nach einem Café in dem wir uns ein bisschen aufwärmen können. Als wir im Anschluss überlegen, was wir mit dem angebrochenen Abend noch so anfangen könnten fällt mir auf, dass mein Handy nicht mehr da ist – ich muss es im Restaurant vergessen haben! Wir spurten also zurück zum Restaurant und stehen vor verschlossenen Türen. Es ist kurz nach 18:00 Uhr und in wenigen Stunden fährt unser Bus nach Tokio – das Handy ist wohl weg. Wir machen dennoch ein Foto von dem Restaurantschild und erhoffen uns, später irgendwie mit dem Besitzer in Kontakt treten zu können, vielleicht haben wir Glück und ein ehrlicher Gast gab das Telefon an der Theke ab… Auf den Schreck und weil es Tobi immer schlechter zu gehen scheint, wird die nächste Bar aufgesucht: ein Bier muss her. Und Edamame! Wir lieben die gekochten und leicht gesalzenen Soyabohnen. Das Konzept der Bar gefällt uns: alles kostet ca. 3 Euro, egal was man bestellt. Es gibt viele verschiedenen Kleinigkeiten zu bestellen, dazu japanisches Asahi-Bier und ein paar Longdrinks stehen auch auf der Karte. Wir versacken etwas und denken wir müssen uns sputen um die Haltestelle rechtzeitig zu erreichen. Mit vollem Gepäck hasten wir zum Busbahnhof und warten dann trotzdem eine gute halbe Stunde in der zugigen Straßenschlucht. Tobi ist mittlerweile total heiser, das Sprechen fällt ihm schwer und als wir in den vollen Bus einsteigen wird uns schnell klar, dass wir hier wohl nur wenig Schlaf bekommen werden. Die Sitze sind eng aneinander gereiht und die Rückenlehne ist kaum zu bewegen. Naja, wer billig will, bekommt eben billig. Wir packen unsere Ohrstöpsel aus und versuchen es uns so bequem wie möglich zu machen. Durchhalten, eine der beeindruckendsten Metropolen der Welt wartet schon auf uns!