Zdravstvuyte Moskva - Russland Teil 2
Wir quetschen uns durch den vollgestopften Zug - dafür müssen wir erstmal unsere Isomatten vom Rucksack schnallen, da sonst jeder Fahrgast an dem wir uns vorbei drücken müssen, unser Gepäck ins Gesicht bekommt. Unsere Plätze sind am anderen Ende des Abteils. Als wir dort ankommen stellt sich uns zunächst die Frage: wo genau sollen da jetzt unsere Rucksäcke hin? Keine Zeit darüber nachzudenken, hinter uns bildet sich bereits eine Schlange ungeduldiger Russen und die Leute quetschen sich schon an uns vorbei. Also schmeißen wir unsere Ausrüstung erstmal auf unsere Sitzplätze und versuchen uns so dünn wie möglich zu machen.
Natürlich haben wir die günstigsten Tickets für den Nachtzug von St. Petersburg bis Moskau gekauft: Dritte Klasse und zwei übereinander liegende Betten in Fahrtrichtung. Wir stellen nun fest: vielleicht hätte sich eine minimale Investition in die Plätze auf der Viererseite gelohnt. Damit ihr euch das besser vorstellen könnt, hier eine kurze Erklärung der Platzaufteilung eines russischen Langstreckenzuges: Ein Wagon der dritte Klasse besteht aus ca. 50 einzelnen Plätzen. Dennoch gibt es so etwas wie eine Einteilung in einzelne (offene) Compartments: Auf der linken Gangseite gibt es jeweils 4 Plätze, die quer zur Fahrtrichtung liegen und sich die Fahrgäste einen kleinen Tisch in der Mitte teilen (zwei Betten oben und zwei unten). Auf der rechten Seite des Gangs sind dann nochmal zwei Betten in Fahrtrichtung verbaut, parallel zum Gang (eins oben, eins unten). Das Problem bei diesen Plätzen ist, dass es zwar wie bei den restlichen Sitzbänken über dem oberen Bett eine Ablage für Gepäck gibt (da bekommen wir einen Rucksack rein) aber der Platz unter dem Bett gleichzeitig auch der Platz ist wo die Beine hin müssen wenn der Tisch umgeklappt ist. Naja, da muss nun trotzdem der zweite Rucksack hin und die Füße irgendwie in den Gang oder oben drauf. Auf der gegenüberliegenden Seite lässt sich die untere Bank hoch klappen und das Gepäck kann in einem geräumigen Fach verstaut werden. Sehr schlau und wir beschließen bereits in diesem Moment die nächsten Plätze auf der anderen Seite des Ganges zu buchen. Für diese Nachtfahrt sollten unsere Plätze aber genügen, da wir uns sowieso bald ins Bett legen und sich dann das Problem mit dem Gepäck von alleine löst.
Jeder bekommt eine dünne Matratze für die Bank, ein Kissen und Laken zum beziehen und zudecken. Es ist jedoch äußerst fraglich, ob wir diese benutzen. Im Zug ist es unglaublich warm! Meine Sorge ich könne frieren war absolut unbegründet - schon nach kurzer Zeit ist mir super heiß und ich ziehe mir eine kurze Hose an. Das machen hier übrigens alle: als der Zug schwerfällig anrollt, sitzt bereits die Hälfte der Menschen in Schlafanzug, Jogginghose und Boxershorts am Tisch. Da es bereits relativ spät ist, wird es auch schnell ruhig im Zug und das Licht wird kurz darauf ausgeschaltet. Wir schauen noch eine Serie auf dem Tablet an (Netflix and Chill;) und legen uns dann schlafen. Für Tobi ist das Bett viel zu klein - noch ein Grund das nächste mal die andere Gangseite zu wählen: hier kann man die Füße immerhin in den Gang hängen lassen. Ich schlafe einigermaßen gut - bis unser Gangnachbar anfängt, mit gefühlten 90 Dezibel genüsslich zu schnarchen. Ohrstöpsel sollten also bei der nächsten Fahrt auch griffbereit verstaut werden ;).
Nach einer unruhigen aber dennoch erstaunlich komfortablen Nacht kommen wir in Moskau an und fahren direkt mit der Metro weiter zu unserem Hostel. Die Metro-Stationen in Moskau sind wirklich traumhaft schön! Riesige Hallen, manche über 100 Meter tief unter der Erde, alle verschieden aber immer mit pompösen Wand- oder Deckengemälden. Der Marmor is überall hell beleuchtet, sogar die Verbindungsgänge wirken eher wie Arkaden als Tunnel. Eine verdammt gut gelungene Mischung aus Museumsbesuch und effizientem Transportsystem. Wir schaffen es mit Google Translate und der guten alten Zeichensprache relativ umwegfrei durch das Labyrinth des Moskauer U-Bahnsystems und als wir nach minutenlanger Rolltreppenfahrt wieder unter freiem Himmel stehen, beschließen wir die Reise unter der Erde die nächsten Tage fortzuführen.
Das Hostel befindet sich etwas außerhalb, aber nah genug um in ca. 50 Minuten zu Fuß bis zum Roten Platz (der eigentlich Schöner Platz heisst) zu gelangen. Mit Bus und Metro sind alle wichtigen Sehenswürdigkeiten innerhalb von einer halben Stunde erreicht. Wir laufen jedoch bestimmt 2 mal am Hostel vorbei, das befindet sich nämlich in einer Art Büro-Café-Komplex, bewacht von einem grimmigen Wachmann hinter einem elektronischen Drehkreuz. Wir fragen uns durch die Gänge des Mall-artigen Gebäudes, vorbei an einem Italienischen Restaurant, durch eine Halle mit -zig verschiedenen, übereinander gestapelten Glaskuben die kleine Werkstätten, Showrooms und Büros beinhalten und stehen dank der Hilfe einer vietnamesischen Putzfrau endlich vor dem Hosteleingang. Wer kann denn damit rechnen, dass unsere Unterkunft da im Hinterhof versteckt ist? Hier ist es jedenfalls total modern und sauber und das Mädel an der Rezeption super nett. Wir sind in einem 8er Schlafraum, haben aber ein Doppelhochbett - das ist auch mal was Neues. Das heißt wir haben ein Stockbett dass nicht wie üblich 1 Meter breit, sondern 1,60 Meter breit ist und durch Vorhänge eine gemütliche Höhle bietet. Wir sind im oberen Bett einquartiert. Im Hostel sind außer uns kaum andere Ausländer und so finden nicht die ausgiebigen Küchengespräche statt, wie wir sie aus Australien gewöhnt sind. Das könnte aber auch daran liegen, dass Alkohol im Hostel strickt verboten ist. Uns gefällt es trotzdem extrem gut. Die Küche ist gut ausgestattet und alle sind freundlich und entspannt. Am nächsten Tag wollen wir dann Moskau erkunden, aber irgendwie ist das Bett einfach zu bequem. Wir kommen erst ziemlich spät los und als wir gerade raus wollen fängt die Rezeptionistin Tobi ab: „Möchtest du einen kostenlosen Haarschnitt?“. Es stellt sich heraus, dass sich im Gebäudekomplex eine Barber-Schule befindet und sich ein neuer Lehrer bewirbt. Dafür suchen sie schnell jemanden der spontan bereit ist Haare zu lassen um zu sehen, wie gut dieser Bewerber wirklich ist. Wir denken an unseren letzten Abend in St. Petersburg an dem wir noch darüber geredet haben, dass Tobi mal zu einem richtigen Barbier möchte um sich den Bart und die Haare mal professionell schneiden zu lassen. Das weiß nicht jeder, aber seit ungefähr 15 Jahren schneidet Tobi seine Haare selbst. Dies hatte damals den Ursprung in seiner Punkrock-Band - der erste Iro wurde selbst rasiert und ab diesem Zeitpunkt hat sich das einfach so eingestellt über die Jahre ;) Klar wird dann zugestimmt und wir folgen Kirill (Friseur bei der Top Gun Barber School) zum Salon wo wir Timo vorgestellt werden. Timo spricht kein Wort Englisch und so muss Kirill als Übersetzer herhalten. Tobi sitzt ganze 2 1/2 Stunden auf dem Friseurstuhl und verliert viel Haar - hat dafür nun aber perfekte Übergänge von der Schläfe (keine Haare) bis zum Scheitel (etwas mehr Haare). Auch der Vollbart wurde bearbeitet und ist von „Holzfällerhippie“ auf „danach kannst du deine Uhr stellen“ getrimmt worden.
Frisch frisiert machen wir uns auf den Weg zum Roten Platz. Hier kommen wir durch die Barber-Aktion erst im Dunkeln an. Ich bin ja eigentlich nicht so sehr auf diese klassischen Sightseeing-Ziele aus, aber das Gefühl dass ich hatte als wir auf dem Roten Platz standen war dennoch unglaublich. Wir haben es nun schon bis ins Herze Russlands geschafft… Alles ist schön beleuchtet und die Fassaden der Gebäude ringsherum sehen aus, als ob sie im Europapark gebaut wurden - irgendwie zu schön und zu sauber um echt zu sein. Insgesamt ist alles kleiner und gemütlicher als ich es mir vorgestellt habe. Wie eine Art Miniaturversion der weitwinklig fotografierten Postkartenmotive die man vorher immer im Kopf hatte. Okay, genug gesehen - wir schlendern weiter und begeben uns irgendwann auf Essenssuche. Der erste Eindruck von Moskau: alles ist pompös, sauber, aufpoliert und sehr modern. Die Weltmetropole lässt ganz unverhohlen den ungleich verteilten Reichtum Russlands im schmucken Stadtzentrum widerspiegeln. Der Kontrast zu den Randgebieten ist mehr als deutlich.
Am nächsten Tag erkunden wir weiter die Stadt und entschließen uns nachmittags ins Kino zu gehen. Wir haben am Tag vorher zufällig ein kleines Kino (Zvezda in der Ulitsa Zemlyanoy Val, 18/22) entdeckt in dem heute Blade Runner 2049 in der Originalversion laufen soll. Also beeilen wir uns ein bisschen um die Vorstellung nicht zu verpassen und müssen am Ende fast rennen um noch pünktlich zu sein. Wir stolpern ins Gebäude und grinsen uns beide erstmal an: ohne es zu wissen haben wir uns ein wunderschönes Kino ausgesucht: velourbezogene Ohrensessel, verteilt um kleine Tischchen in einem länglichen Saal mit hohen, hellen Decken, Rundbögen und Stuck. Der Film überzeugte mit der klassischen Film Noir Thematik, in modernem Color Grading. Es hat sich wirklich gelohnt. Wir wollen noch nicht zurück ins Hostel und gehen in eine kleine Bar um die Ecke. Es handelt sich um eine Soviet-Bar: etwas heruntergekommen, überall hängen Che Guevara Poster und andere Sovietpropaganda an der Wand, die rot gestrichenen Holzpanelen wechseln sich ab mit schwerem Vorhangstoff. Wir trinken viel Bier und essen Tschebureki, große, mit verschiedenen Leckereien gefüllte Teigtaschen, im Frittierfett ausgebacken. Dazu einen „Griechischen Salat“ auf russische Art für ein paar Cent. Uns schmeckt es hervorragend. :) Um zur authentischen Stimmung beizutragen läuft irgendwann die Toilette über und wir müssen unsere Rucksäcke auf die Stühle retten, da die ganze Kneipe unter Wasser steht. Zum Glück handelt es sich nur um kein Abwasser (Tobi meint es gab wahrscheinlich ein Problem mit dem Spülkasten) und die Belegschaft der kleinen Bar fängt an das Schlamassel aufzuwischen. Wir setzen uns an einen anderen Tisch und bestellen nochmal eine Runde. Ich hoffe trotzdem inständig, dass die Überschwemmung nicht meine Schuld ist, in Russland darf man unter keinen Umständen Toilettenpapier in die Toilette werfen, (das liegt an der veralteten Kanalisation) und ich bin mir nicht mehr so sicher ob ich das zuvor nicht aus Gewohnheit versehentlich getan habe...
Wir sind nur 3 zu kurze Tage in Moskau und stellen fest: wir müssen nochmal mit mehr Zeit kommen. Trotzdem freuen wir uns wieder riesig, als wir unseren Ruckssack auf dem Rücken haben und unsere Tickets für den nächsten Abschnitt der Transmongolischen Eisenbahn der Schaffnerin entgegenstrecken.
26 Stunden Zugfahrt liegen vor uns: Tschüss Moskau, Jekaterinburg wir kommen.