Südkorea Teil 2 - Von Haus-Sitting, Hitchhiking & hervorragender Stadtplanung
Wie machen Langzeitreisende eigentlich Urlaub? Sehnt man sich nach einem “Tapetenwechsel”, wenn man ständig unterwegs ist? Und wie lädt man seine Batterien wieder auf, nach über einem viertel Jahr und ca. 20 000 Kilometer auf Land- und Seeweg zurückgelegter Strecke?
Wir haben einen für uns mehr als grandiosen Weg gefunden, um uns eine mehr oder weniger kurze Verschnaufpause vom Nomadendasein zu gönnen: Trusted Housesitters! Auch um sich endlich unserem angehäuften Film-Material zu widmen (siehe Kategorie „Video“), sowie organisatorische und redaktionelle Arbeit zu erledigen ist das „Haus- und Tiersitting“ einfach perfekt. Wir verbringen drei wunderbare, erholsame Wochen in Incheon mit den beiden Katzen Kimchi und Taco. Die Zeit wird genutzt, um einige Dinge zu erledigen, in der gut ausgestatteten Küche ausgiebig zu kochen und nach Feierabend bei leckerem Wein und jeweils einer schnurrenden Katze auf dem Schoß unsere Lieblingsserien auf Netflix nachzuholen. Wie gut doch so ein paar Wochen Beständigkeit tun, nach dem anhaltenden Unterwegssein der letzten Monate. Wir genießen es, über Weihnachten und Silvester ein bisschen runter zu kommen und einen Alltag zu entwickeln in einem Land, das wir nie geplant hatten zu bereisen.
Wir wohnen in Sangdo, einem Stadtteil von Incheon der als “Future City” angepriesen wird und somit ausschließlich aus glasfassadigen Hochhäusern, schicken Apartmentkomplexen und hippen Restaurants und Bars zu bestehen scheint. Wir fühlen uns wohl hier mit unserem Apartment im 14. Stock und sind beeindruckt von all den Wolkenkratzern, der allgegenwärtigen Technologie und Moderne und vom Lebensstandard derjenigen, die sich ein Leben in diesem Viertel leisten können. Sehr viel Charme hat die Stadt mit den vielen Franchise Restaurants allerdings nicht. In Südkorea wird alles, was dem westlichen Klischee entspricht nachgeahmt und kommerzialisiert. Dieser Umstand gilt auch für die Gastro und somit finden wir eine Bar die “Hans” heißt, ein “Bombay Bräu Haus” (What?) und „italienische“ Restaurants mit horrenden Preisen auf der Speisekarte - man kann sich vorstellen wie viel Authentizität hinter der Fassade steckt. Wir freuen uns also riesig, als wir pünktlich zu Silvester den Tipp bekommen, in die Cinder Bar um die Ecke zu gehen. Hier hat sich ein Neuseeländer niedergelassen und betreibt eine kleine, gemütliche Bar die an Silvester voll gestopft ist mit den hier arbeitenden Expats (hauptsächlich Westler, die z.Bsp. an internationalen Schulen unterrichten, oder bei großen internationalen Konzernen angestellt sind) und eine große Bier und Wein Auswahl zu bieten hat. Die Stimmung ist ausgelassen und Warren, der sympathische Besitzer des Pubs, begrüßt uns gleich persönlich und merkt sich nicht nur unsere Namen, sondern läuft kurz nach 12 durch die ganze Bar um jedem Gast persönlich und mit Handschlag ein frohes neues Jahr zu wünschen! Obwohl wir erst gegen 3 Uhr Nachts nach Hause kommen, schaffen wir es doch am nächsten Morgen relativ früh aufzustehen, denn wir sind mit Sangdae in Seoul verabredet und die Fahrt mit dem Bus und der Bahn in die Hauptstadt ist lang. Er kommt aus einem kleinen Städtchen im Herzen Südkoreas und war über Silvester mit Freunden in Seoul feiern. Wir haben den reiselustigen Kameramann bereits in Russland auf der Fahrt zum Baikalsee kennen gelernt und er war es, der uns auf die Idee gebracht Südkorea zu bereisen. Verschlafen treffen wir uns in einer Metro-Station in der Innenstadt, auch Sangdae kam erst spät ins Bett und so beschließen wir erstmal etwas essen zu gehen. Er führt uns über belebte Marktstraßen in eine schmale Seitengasse, hinein in eine der winzigen koreanischen Garküchen und wir genießen allein unter Einheimischen unser vegetarisches Bibimbap. Der erste Tag im neuen Jahr verläuft sehr entspannt. Wir haben die Stadt in unserer ersten Woche Südkorea schon lieben gelernt und durch Sangdae erfahren wir mehr über die südkoreanische Denkweise. Er sieht viele Dinge in Südkorea kritisch, ist viel gereist und hat somit eine umfangreichere Sicht auf sein eigenes Land erhalten. Auch Südkorea hat Probleme mit Rassismus und der beinharte Konkurrenzkampf und Erfolgsdruck der gerade unter der jüngeren Generation herrscht, führte das reiche asiatische Land an die Spitze des internationalen Vergleichs der Suizidraten. Wir flanieren durch die Straßen der Stadt, plaudern übers Weltgeschehen und unseren Platz darin und gönnen uns zum Abschluss eine koreanische Spezialität: Bingsu, ein „Schneeflocken Eis“, dass jeder der hier zu Besuch ist, einmal probiert haben sollte! Am frühen Abend verabschieden wir uns im Neonlicht der U-Bahnstation von Sangdae. Die Katzen warten auf ihr Abendessen und wir haben eine 1 1/2 stündige Busfahrt vor uns.
Die nächsten Tage vergehen wie im Flug und mir wird der Abschied von Kimchi und Taco immer bewusster. So schnell habe ich mich an die zwei durchgeknallten Katzen, die sich eher wie Hunde benehmen gewöhnt, dass ich nur ungern weiter reisen will. Natürlich freuen wir uns auf alles was noch kommt, aber uns werden die Beiden trotzdem fehlen. Am Morgen des 6. Januars schultern wir dann wehmütig unsere Rucksäcke und machen uns mit einem Stück Pappkarton (Tramperklischee wieder mal erfüllt;), auf das wir in koreanischen Zeichen “Busan” gemalt haben, auf Richtung Hauptstraße. Sobald wir voll bepackt aus der Türe heraus treten, fällt das Gefühl des „Zurücklassens“ wie so oft bisher von uns ab und es stellt sich das bekannte Kribbeln der Vorfreude aufs nächste Abenteuer ein. Auf geht’s einmal quer durchs Land bis an die Süd-Ostküste Koreas - von hier fährt am 11. Januar unsere Fähre nach Japan! Wir können es kaum erwarten…
Trampen in Südkorea? Geht das überhaupt? Klar! In unserem Fall sogar erstaunlich gut. In Incheon nimmt uns bereits nach ein paar Minuten jemand mit, der uns beim Reinfahren in die Stadt am gegenüberliegenden Straßenrand stehen sieht, kurzerhand umdreht und uns fast 30 km in die entgegengesetzte Richtung seines Zuhauses fährt, um uns an einem Highway Rastplatz raus zu lassen! Wir sind baff! Als wir uns bedanken strahlt er uns nur an und erklärt uns, dass wir IHN heute sehr glücklich gemacht haben. Ja, auch das ist Korea. Nach ca. 30 Minuten Wartezeit hält schon das nächste Auto an. Diesmal eine junge Familie die kein Wort englisch spricht und nach einem kurzen Telefonat mit einer Bekannten, die dem Englischen mächtig ist, sitzen wir im Auto und werden die nächsten 30 km mitgenommen. Danach ist bereits Nachmittag und bis Busan sind es immer noch 400 km. Wir gehen also nicht davon aus heute noch anzukommen, stellen uns aber trotzdem mit unserem Pappschild an die Tankstelle des hiesigen Rastplatzes und versuchen unser Glück erneut. Nach einer vielen Stunde kommt ein Taxi langsam neben uns zum Halten und die Scheibe wird heruntergekurbelt. Wir wollen schon abwinken, aber der Fahrer ist hartnäckig. “Busan?” fragt er. Wir bejahen und er und die Dame auf dem Beifahrersitz winken uns in das Taxi. “No money, hitch-hi-king”, versuchen wir überdeutlich artikuliert zu vermitteln . Sie lachen, “No Money okay!”. Also steigen wir ein und finden heraus, dass das Taxi privat unterwegs ist und die ältere Dame die uns gerade koreanische Süßigkeiten entgegenstreckt, die Ehefrau des Fahrers ist. Ganze 5 Stunden dürfen wir die Beiden begleiten. Immer wieder wird uns etwas zu Essen nach hinten gestreckt, während die Landschaft an uns vorbei rauscht. Sie sprechen kaum englisch, wir so gut wie kein koreanisch, aber mit Hand und Fuß und der Übersetzungs-App von Google können wir uns halbwegs verständigen und uns für die Großzügigkeit bedanken. Es ist schon längst dunkel, als wir mitten in Busans Innenstadt rausgelassen werden. Wir stärken uns erstmal mit leckerem Gimbab (eine Art koreanisches Gemüse Sushi) und heißem Tee und bemühen das Internet um ein Zimmer in einem günstigen Guesthouse in der Nähe. Die zweitgrößte Stadt Südkoreas empfängt uns mit relativ milden Temperaturen um die 4 Grad und die Einkaufsstraßen sind immer noch mit pompöser Weihnachtsbeleuchtung geschmückt.
Die kommenden Tage erforschen wir Busan zu Fuß, mit dem Bus und mit dem gut ausgebauten U-Bahn Netz und lernen die gemütliche Großstadt zu schätzen, mit seinen unzähligen Streetfoodständchen in den vollgestopften Einkaufsstraßen und den ruhigen Nachbarschaften an den Berghängen, in die sich kaum ein Tourist verirrt. Busan birgt viele interessante Gegensätze. Der größte Stadtstrand der süd-östlich gelegenen Küstenmetropole ist der wohl bekannteste Strand Südkoreas. Im Sommer ist hier kaum Platz um den Sonnenschirm aufzuspannen. Viele Koreaner nutzen die Stadt als Urlaubsziel in den heißen Monaten. Im Winter aber ist der Strand wie leergefegt und obwohl es vormittags noch geschneit hat, präsentiert sich uns der Himmel nun in wolkenlosem Blau. Vom Strand aus schlendern wir über die breiten Holzplanken des hübsch angelegten Küstenpfades bis zu einem großen Leuchtturm und genießen die sonnigen Stunden direkt am Meer, sowie den Ausblick auf die Skyline der Stadt.
Hauptsächlich stromern wir zu Fuß durch die Straßen ohne Stadtplan und eigentliches Ziel, so finden wir uns wie so oft zuvor an Orten wieder, die man sonst nie besucht hätte. Der winzige Gemüseladen, versteckt in verwinkelten Gässchen eines abgelegenen Wohngebietes, oder der kleine Irish Pub, in dem wir uns bei koreanischer Popmusik und kühlem Bierchen verquatscht haben bis es dunkel wurde. Zwei Dinge haben wir uns jedoch schon von vornherein vorgenommen. Zum einen ein letztes Mal die Nacht in einem Jimjilbang zu verbringen, zum anderen eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besuchen: Wir erkunden das Gamcheon Cultural Village. Ursprünglich eigentlich ein Slum mit vielen illegal errichteten Behausungen und kleinen Gärten am Berghang. Während des Koreakrieges wurden aus 20 Hüttchen quasi über Nacht ein riesiges Flüchtlingslager, bestehend aus über 800 schnell zusammengezimmerten Verschlägen aus Sperrholz, alten Planken und Wellblech. Alles wurde ohne Plan hastig und natürlich ohne irgendeine Bauverordnung zu beachten am Hang ineinander geschachtelt. Viele asiatische Städte haben das Problem, dass diese Viertel nach und nach noch weiter verkommen und mit dem schnellen Wachstum der Stadt nicht mithalten können. Oftmals ist die Lösung der Regierung, diese chaotisch gewachsenen Nachbarschaften komplett aufzulösen und durch Neubauten zu ersetzen. Besonders in Peking haben wir davon bereits berichtet, aber auch in Incheon und Seoul finden sich kaum noch kleine, alte und schief gebaute Häuser, geschweige denn ganze Viertel davon. Das Problem bei diesem Umgang mit den Slums ist, dass vielen Menschen der Wohnraum genommen wird, die Mieten für die tollen neuen Häuser sind meist zu teuer und so müssen die alt eingesessenen Bewohner weit außerhalb der Stadt Zuflucht suchen. Auch geht häufig der Charme und die Einzigartigkeit dieser Communities damit verloren. Natürlich ist dem Argument der Städte, die selbst errichteten Häuser seien marode und in schlechtem Zustand und deshalb ein gefährliches Risiko für die dort wohnenden Familien, nicht viel entgegenzusetzen. Busans lokale Behörden schlugen jedoch einen anderen Weg ein und starteten 2009 das experimentelle Kunstprojekt, “Dreaming of Busans Machu Picchu”, um dem Viertel wirtschaftlich auf die Beine zu helfen und die baulichen Mängel zu beseitigen. Regionale Künstler und Studenten bekamen den Auftrag, das Viertel in ein einziges Street Art Kunstwerk zu verwandeln und währenddessen wurde in die Renovierung der Hauswände und Dächer investiert. Herausgekommen ist ein absoluter Hotspot in Busan, sowohl für Touristen als auch für Künstler und Hipster. Traumhaft am Berghang gelegen, mit einer sagenhaften Aussicht über die bunten Dächer von Gamcheon bis hinunter zum Meer, lässt sich auf einer der vielen Dachterassen wunderbar der Sonnenuntergang genießen. Zuerst skeptisch dem Projekt gegenüber, haben nun auch die Bewohner der Nachbarschaft das Potential erkannt und nehmen durch Gastronomie, Gaststättengewerbe oder Einzelhandel Teil am wirtschaftlichen Zuwachs der Region. Ein Besuch ist absolut empfehlenswert und die vielen engen Gassen, versteckten Wege und unzähligen schrägen Kunstwerke laden zum erforschen der Gegend ein. Wir finden diesen alternativen und kreativen Umgang mit einem “Problemviertel” absolut gelungen und hoffen sehr, dass sich mehr Städte daran ein Beispiel nehmen.
Busan hat definitiv einen tollen Vibe und wir genießen unsere restliche Zeit. Die letzten Tage in Korea verbringen wir hauptsächlich mit den Annehmlichkeiten, die eine Großstadt so mit sich bringt, nämlich mit Schlemmen und Schlendern. Wir genehmigen uns noch einmal einen der genialen Schneeflocken-Eisbecher im Café Sulbing, diesmal die Festtagsvariante mit grünem Matcha-Eis und jeder Menge Erdbeeren (eigentlich außerhalb unseres Reisebudgets, ab und zu muss sowas aber eben auch mal drin sein;). Die letzte Nacht lassen wir dann nochmal richtig koreanisch ausklingen: mit dem vorerst letzten Besuch eines Badehauses. Einen perfekteren Abschluss unseres Koreabesuchs können wir uns nicht vorstellen, auch wenn das Siloam in Seoul unser bisheriger Favorit bleibt. Am nächsten Morgen machen wir uns auf zum Fährhafen. Nur 3 Stunden soll die Überfahrt ins „Land der aufgehenden Sonne“ dauern. Wir glauben, wir sind nach China und Korea relativ gut vorbereitet auf das nächste asiatische Land auf unserer Liste - kann es denn wirklich so viel anders sein? Wir haben uns vorgenommen hinter die Klischees zu blicken, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen und die Inseln des Landes auf verschiedene Arten zu bereisen. Wenn wir nur schon vorher gewusst hätten, was für ein Abenteuer uns in Japan erwartet!