Japan Teil 4 - Das letzte Kapitel

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Vorsichtig steuern wir das Wohnmobil die enge, kurvige Bergstraße hinauf. Wir sind nach zwei Tagen Autofahrt endlich in den japanischen Alpen angekommen. Links und rechts von uns türmen sich meterhohe Schneemauern auf. Es hat die letzten paar Nächte so heftig geschneit, dass wir uns riesig über die geräumten Straßen freuen, auch wenn rechts und links angehäuften Schneemassen die Spuren verengen. Sollte uns nämlich nun ein Auto entgegen kommen gäbe es kein ausweichen. Rückwärtsgang zur nächsten freigeschaufelten Haltebucht wäre hier die Folge. Doch die Straßen sind leer, um uns herum ist alles weiß und still. Die feste, graue Wolkendecke der letzten Tage scheint in der Nacht endlich geborsten zu sein und nun erstrahlt der Himmel in zartestem Hellblau. Ein Blick aufs Navigationsgerät zeigt, noch 40 Kilometer bis Yamanouchi - hier wohnen sie: die japanischen Schneeaffen!

Sie leben hoch oben in den Alpen und trotzen dank ihrem dichten, flauschigen Fell erfolgreich der eisigen Kälte des japanischen Winters. Als in den 60er Jahren hier ein Hotel die natürlichen heißen Quellen anzapfte und damit mitten in der Wildnis ein Spa für gestresste Japaner (die heißen Bäder werden in Japan „Onsen“ genannt) eröffnete, entdeckten auch einige dieser schlauen Makaken nach und nach die Wohltat des warmen Wassers für sich. Schnell hat sich diese Entdeckung unter den Affen herumgesprochen und die Tradition des familiären Badetages war geboren. Heute steht den Primaten ein eigenes Onsen 1 km vom Hotel entfernt zur Verfügung, welches in den Wintermonaten rege besucht ist. Durch die geschickte touristische Vermarktung sind neben den Affen mittlerweile natürlich auch viele Menschen vor Ort, um das Schauspiel mit anzusehen. Wann bekommt man schon Mal die Chance wilde Affen beim Spa-Besuch zu beobachten? Seit ich vor einigen Jahren eine Dokumentation über die Japan-Makaken gesehen habe, bekomme ich die Bilder der sich entspannt im warmen Wasser räkelnden Tiere nicht mehr aus dem Kopf. Als wir uns im Dezember dazu entschlossen haben Japan in unserer Route zu integrieren, stand für mich eines glasklar fest: Wir müssen dort hin!

Es wird nicht nur im heißen Wasser gechillt, auch die Körperpflege darf nicht zu kurz kommen.

Und nun stehen wir hier, auf dem sich langsam aber stetig mit Reisebussen füllenden Parkplatz der örtlichen Attraktion. Hier beginnt der ca. 2 Kilometer lange Weg durch den Wald bis hin zu den heißen Quellen der Schneeaffen von Yamanouchi. Es ist 8:50 Uhr und der 1,5 Kilometer entfernte Eingang des „Snow Monkey Parks“ öffnet in 10 Minuten seine Tore. Natürlich sind wir nicht die Einzigen um diese Uhrzeit und selbstverständlich kostet auch diese „Naturbeobachtung“ Eintritt. Wir haben zuvor bereits viele Berichte gelesen in denen beschrieben wurde wie voll es um das Becken und die Tiere werden kann, wir machen uns also auf eine Touristenhorde gefasst. Als wir allerdings den Wanderweg betreten, der sich unter schneebedeckten Nadelbäumen den Berg hinauf windet, sind wir zunächst fast alleine unterwegs und von der Stille und Schönheit des Waldes wie benommen. Wenn ab und an der Wind leise über die Wipfel streift, rieselt feiner Puderschnee von den Bäumen und glänzt wie Goldstaub in den durchs Geäst fallenden Sonnenstrahlen. Bald schon tut sich eine Lichtung vor uns auf und wir erblicken das Hotel, mit dessen heißen Quellen alles begann. Die Anlage oberhalb des Bergflusses besteht aus mehreren, fast Schwarzwaldhüttenartigen Gebäuden. Von weitem erkennen wir eine Frau, die geschäftig die hauseigenen Quellen vorbereitet und nebenbei freche Makaken verscheucht. Hinter uns hören wir von Weitem eine größere Reisegruppe heraneilen, also machen wir uns schnell wieder auf den Weg den Berg hinauf Richtung offiziellem Eingang. Uns erwartet immerhin keine Schlange vor dem Ticketschalter und auch um die heißen Quellen hat sich bisher nur eine kleine Gruppe von Menschen gebildet, die still, aber mit gezückten Kameras am Beckenrand stehen.

Wir haben also ideale Sicht auf das etwas bizarr anmutende Geschehen. Auch wenn die Primaten auf beiden Seiten anscheinend keine Berührungsängste verspüren (anfassen ist natürlich streng verboten), muss man sich erst bewusst machen, dass die Makaken jeden Morgen aus freien Stücken von den bewaldeten Hängen zu den Quellen hinabsteigen um sich in künstlich angelegten Pools völlig zu entspannen. Hier hat sich bei wilden Affen eine seit fast 50 Jahren kulturell fest verankerte Tradition entwickelt, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die Äffchen sind dank ihres voluminösen Winterfells nicht angewiesen auf die wärmespendenden Onsen, jedoch werden die kalten Monate in den japanischen Alpen dadurch sehr viel angenehmer. Wir verbringen eine gute halbe Stunde damit, den Tieren beim entspannten Baden, Spielen und der gegenseitigen Fellpflege zu beobachten, doch es wir schnell immer voller um das Becken und somit beginnt das Schauspiel einer anderen Primatenart: der Homo Erectus Selfietikus zeigt sich in voller Pracht! Mit aufreizend gespreiztem Zeige- und Mittelfinger und breitem Grinsen posieren Männchen wie Weibchen vor dem dampfenden Becken um das beste Bild zu erhaschen und für die zuhause gebliebenen Artgenossen mit Hilfe des künstlich verlängerten Armes, (Selfie-Stick) das Vor-Ort-Sein zu beweisen.

Wer kennt es nicht - nach dem heißen Bad ist einem plötzlich kalt.

Die Affen scheint dies allerdings recht wenig zu interessieren, sie nehmen die Gaffer für ein warmes Bad gerne in Kauf und starren mit seelenruhiger Gleichgültigkeit einfach zurück. Die Ähnlichkeit der Affen mit uns Menschen ist wirklich faszinierend. Wir sehen uns gerne als gesonderte Krone der Schöpfung und schreiben gewissen Wesenszügen und Verhalten eine menschliche Exklusivität zu. Wenn ich mir die Tiere aber ansehe, wie sie mit geschlossenen Augen die Wärme genießen, oder das Fell des Sitznachbars pflegen während die „Kinder“ kreischend vom Beckenrand ins Wasser springen und tauchen und schwimmen üben, wird der evolutionäre Abstand zwischen unseren Arten immer geringer. Ich muss automatisch einen Monat zurück denken, an unsere Übernachtung im Jimjilbang, dem traditionellen Spa in Südkorea.

Es wird nun immer voller und nach zwei Stunden machen wir uns wieder auf den Rückweg Richtung Parkplatz. Vor uns bleibt ein japanisches Pärchen plötzlich stehen und starrt mit großen Augen angespannt in den Wald hinunter. Da entdecken auch wir sie: die magische Bergziege Japans, der Japan-Serau! Wie im Bann beobachten wir, wie sie sich still und vorsichtig ihren Weg durch den knietiefen Schnee bahnt. Schnell merken wir, dass sie nicht alleine ist: sie hat ein Junges dabei! Unsicher kämpfen sich die Beiden nun den steilen Hang zum Wanderweg empor. Mittlerweile sind einige Besucher stehen geblieben und versperren unbewusst den Durchgang für die langhaarigen Bergziegen. Ein Mann bittet den Weg frei zu machen, um den Seraus zu zeigen, dass sie an uns vorbei ziehen können, doch einige Touristen scheinen immer noch im Social Media Modus zu stecken und bleiben wie angewurzelt in dämlicher Pose im Weg stehen, um ein Ziegenselfie zu ergattern. Nach mehreren Versuchen gibt das Muttertier auf und springt zurück in den Wald, erschrocken stolpert das Jungtier hinterher und im nächsten Augenblick sind sie verschwunden - die Krone der Schöpfung hat mal wieder zugeschlagen… Wir sind aber zu verzückt um uns wirklich zu ärgern: nicht nur haben wir die badenden Schneeaffen von Yamanouchi beobachten können, da stolpern wir auch noch über gleich zwei der Japan-Serau (wir bleiben bei „magical Mountain Goat“, das klingt schöner!), die durch ihr scheues Wesen nur sehr selten hier gesichtet werden! Wir können unser Glück kaum fassen! Wieder am Wohnmobil angekommen, kochen wir uns Tee und planen die weitere Route. Das nächste Ziel steht schnell fest: es geht nach Kyoto!

Kyoto ist eine der beliebtesten Städte Japans. Es gibt unzählige buddhistische Tempel, Paläste, Gärten, Shinto-Schreine und traditionelle Architektur sowie eine lebhafte Kultur und Restaurant Szene. Da unsere Zeit knapp bemessen ist, beschließen wir eine der Hauptattraktionen der Stadt zu besichtigen: den bezaubernden Stadtteil Arashiyama mit seinem berühmten Bambuswald. Wir nehmen uns vor früh aufzustehen und unseren Spaziergang im Licht der frühen Morgensonne noch vor dem großen Ansturm zu genießen. Etwas verschlafen und mit viel zu wenig Koffein im Blut navigieren wir das Wohnmobil durch die extrem schmalen Gassen und finden einen kostenfreien Parkplatz vor einem Convenience Store unweit des Bambuswaldes. Schnell besorgen wir uns noch Kaffee für unterwegs und ein paar leckere Kleinigkeiten im Laden und machen uns auf den Weg. Unser frühmorgendlicher Plan scheint zunächst aufzugehen, nur sehr wenige Menschen sind in den Gassen unterwegs und als wir im Bambuswald ankommen, ist nur der Wind zu hören, der die vielen kleine Blätter über uns rascheln lässt .

In Kyoto war von Schnee nichts mehr zu sehen.

In Kyoto war von Schnee nichts mehr zu sehen.

Dies war dann die berühmte Ruhe vor dem Sturm: immer mehr Menschen strömen aus allen Richtungen in den Wald und nach 15 Minuten ist es unmöglich ein Foto zu schießen ohne eine Horde Selfiestick-schwingender Touristen im Weg stehen zu haben. Wir genießen die Szenerie dennoch und packen die Kameras ganz bewusst einfach mal weg. Als wir dann den umliegenden Park erkunden, sind wir plötzlich wieder raus aus dem Trubel und ganz alleine mit einer fantastischen Aussicht auf Kyoto. Wir packen unser verspätetes Frühstück aus und genießen die Ruhe. Da wir bereits am nächsten Tag wieder in Osaka sein müssen um unsere Fähre nach China nicht zu verpassen, schlendern wir langsam zurück zum Auto und machen uns auf den Weg nach Nara. Nara ist bekannt für seine großartige Tempelanlagen und Kunstwerke aus dem 8. Jahrhundert. Daran sind wir aber gar nicht so sehr interessiert, unser Fokus liegt auf den Tieren, die hier in den Tempelanlagen und der Stadt leben: Die „wilden“ Sikahirsche! Da sie als Botschafter der Götter gelten sind sie den Japanern heilig und haben sich somit ein bequemes Leben innerhalb der Stadt und vor allem in den Parkanlagen rund um die Tempel eingerichtet. Für die meisten Besucher stellen sie die Hauptattraktion der Stadt dar und durch den Verkauf von Shika-Sembei - das sind Hirschkekse die man überall in der Stadt kaufen kann, freuen sich die Einheimischen über ein Bombengeschäft und die gefräßigen Tiere haben leichtes Spiel bei der Futtersuche. Wir bilden da keine Ausnahme und ich merke schnell: mir sind die behornten Bambis dann doch ein bisschen zu frech! Ungeduldig ziehen sie an meiner Jacke und stupsen mich mit ihren Köpfen an um ja als Erster etwas von den Futterkeksen in meiner Hand abzubekommen.

Ausnahmsweise ein sehr höfliches Exemplar.

Sie sehen nett aus, aber man sollte trotzdem nicht vergessen, dass es sich hier um an den Menschen gewöhnte, aber nicht domestizierte Tiere handelt. In einem Anflug von Panik halte ich die Kekse mit hoch gestreckten Armen in die Luft und bringe Tobi mit meiner plötzlichen Hysterie zum Schmunzeln. Desto mehr ich mich wehre und versuche Abstand zwischen mich und die Vielfraße zu bringen, desto mutiger werden die Rehe. Ich will nur noch aus der Schussbahn und schleudere in einer letzten Verzweiflungstat die restlichen Kekse in Tobis Richtung um der Aufmerksamkeit der gierigen Paarhufer zu entkommen. Mein teuflischer Plan funktioniert, die futterverrückten Tiere sammeln sich um Tobi und ich bin sofort uninteressant.

Im Ernst, der Nara-Park ist wie die meisten japanischen Park- und Tempelanlagen wunderschön und die Rehe haben mit ihren scheuen europäischen Verwandten nicht viel gemein. Sie sind so zutraulich wie ich es bei Rotwild noch nie zuvor erlebt habe. Dabei können sie tun und lassen was sie wollen und sind weder eingezäunt noch in einer anderen Art und Weise in Gefangenschaft gehalten. Sie sind bereits vor Jahrhunderten eine Symbiose mit der Stadt und den Menschen eingegangen. Wir verteilen brav unsere Kekse und beobachten amüsiert andere Besucher, die ebenfalls von besonders aufdringlichen Exemplaren bedrängt werden. Die heiligen Hirsche haben zudem noch eine andere Technik entwickelt um an ihr Futter zu kommen: sie verbeugen sich in traditionell asiatischer Manier. Unglaublich wie die Tiere die respektvolle japanische Begrüßung als erfolgreiche Bettelgeste identifiziert und von Generation zu Generation weitergegeben haben. Nicht selten sehen wir, wie sich Mensch und Tier im Park voreinander verbeugen. Wir spazieren an Tempeln und Touristen vorbei und verteilen unsere letzten Krümel während die Temperatur langsam fällt und die Sonne langsam zum Horizont sinkt. Unser Zeichen zur Weiterreise. Nach ein paar Minuten sitzen wir wieder in unserem Wohnmobil und kreuzen die langen Schatten der Bäume am Straßenrand auf dem Weg zurück nach Osaka. Als wir ankommen explodiert der Himmel über der Stadt.

Am nächsten morgen legt unsere Fähre nach Shanghai ab. Unser Winterabenteuer durch Japan neigt sich schon wieder dem Ende zu - ein Monat vergeht auf Reise wie im Flug. Wir freuen uns aber schon auf das nächste Abenteuer: China, bald hast du uns wieder!